Theodor Eichberger (1835-1917)


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Der Arzt

(7. Fortsetzung)

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Doch ach! die frohe Hoffnung, welcher sich die guten Menschen auf einen Augenblick hingegeben hatten, wurde bald zerstört, durch die sich zeigenden Symptome eines heftigen Fieberanfalls. Marie hatte sich stark erregt und war im Innersten ihres leichtempfindsamen Gemüths ergriffen, so daß das Fieber nur bestärkt wurde. Dazu kam noch der ihre Krankheit befördernde Umstand, daß sie immer in einem inneren Kampfe ihrer Gefühle lebhaft begriffen war, so daß sie keinen Augenblick die gehörige Geistesruhe hatte, welche doch so sehr nöthig gewesen wäre. Es schwebte ihrer Seele beständig das Bild eines Mannes vor, welches sie eifrig zu verdrängen suchte. Und wie konnte sie denn auch mit ihrem zarten erregbaren Gemüth dieses Bild dulden, da sie jenen Mann gar nicht kannte und nicht die geringste Gewißheit, ja nicht einmal das unbedeutendste Zeichen hatte, ob er jemals ihre, sich allmählig zur Leidenschaft zu entwickeln drohende Neigung erwiedern könne oder werde. Dadurch träumte sie nun bald von einer gemeinschaftlichen Sympathie der Seelen, welche vermittelst ihrer Anziehungskraft dieselben einander befreunden und näher bringen müsse, dann entsetzte sie sich wieder vor dem Gedanken: daß eine feindliche Antipathie ihr den Mann ihrer Liebe auf ewig entfernt halten könnte und sie dann mit all ihrer Liebe und ihrem Schmerz allein stände. Diese marternden Gedanken und Zweifel, dieses hoffnungslose Sehnen und ängstliche Zurückhalten der gebietenden Herzensstimme ließ ihr keine Ruhe, keine Erholung angedeihen und quälte sie in der Hitze des Fiebers, wie in den ruhigen Stunden nach demselben, so daß nicht nur die Anfälle, sondern auch ihre Auflösung beschleunigt wurde.

Wer diese ruhige liebliche Gestalt vor einer keinen Weile so vernünftig und vertrauend sprechen gehört hätte, der würde sie jetzt kaum wieder erkannt haben. Erst durchschauerte eine Kälte ihren Körper, welche das Bett erzittern machte, worauf die brennendste Hitze folgte und sie in abgerissen heftigen Worten phantasirte. Ihr Wesen glich einer stürmisch bewegten See, welche bei einer kleinen Windstille rastet um dann desto heftiger in einem schäumenden Wirren alles zu verschlingen drohenden Chaos zu toben. Bald perorirte sie in lauten krampfhaft hervorgestoßenen, sinnlosen Worten; dann wimmerte sie leise, wehmüthig, und ängstliche Thränen erstickten die Stimme, worauf wieder wilde Ausbrüche folgten.

Der Vater und Louise sahen starr und unbeweglich diesem gräßlichen Schauspiel zu und nur zuweilen rollten einzelne Thränen, die Boten des inneren Schmerzes, über ihre gramvollen Gesichter. - Man hörte das Vorfahren eines Wagens und einige Minuten später trat der Hausarzt Dr. Vaage in das Zimmer, seinen Morgenbesuch abzustatten. Herr Hübner eilte ihm an die Thüre entgegen.

"Guten Morgen Miß und Mister Hübner! Was macht die Patientin?" fragte der Doktor, seine beide Hände auf den tüchtig gemästeten Hängebauch legend. Hübner deutete stumm auf das Bett. Dr. Vaage betrachtete die Kranke, fühlte ihren Puls, schüttelte mehrmals mit dem Kopf, zog dann seine große silberne Dose aus der Tasche und stopfte sich ein halbes Loth Schnupftabak in die Nase, wobei er den Stubenboden brüderlich mitschnupfen ließ. Nach dieser unerläßlichen Cermonie ergriff er nochmals den Puls, machte ein recht faltenreich gelehrtes Gesicht, hielt die rechte Hand wie ein Dach über die bekupferte Nase und murmelte dann höchst geheimnißvoll: "Hm Hm! Hm Hm! Hm Hm!"

Als Marie den Arzt gewahr wurde, schaute sie ihn mit großem Blick an und rief im Irrsinn:

"Ha Du Giftmischer! - Willst Du neue Martern für mich ersinnen? - Hinweg! - Hinweg sag' ich! - Helft mir, er will mich tödten. -" hierauf fuhr sie mit singender Stimme fort: "O du guter lichter Genius, komme! Eile mir zur Hülfe - rette mich. - Siehst du nicht wie die wilden Fluthen des Meeres den schwarzen Rachen öffnen, um mich zu verschlingen? - Geschwind! geschwind! das Brett versinkt und die Wellen schließen sich über meinem Haupte. - Ach! du willst herüber und kannst nicht! - O eile! Ideal meiner Seele, theurer Mann! rette deine Marie! -

Ein Thränenstrom erstickte ihre Worte und sie wühlte ihr Haupt tief in die Kissen.

Dr. Vaage, wenig erbaut von den Lobsprüchen die ihm die Kranke in ihren irren Phantasieen gespendet, wackelte wieder mehrmals nachdenkend mit dem Kopfe und verschrieb dann endlich eine Arznei. Dann gab er noch einige Verhaltungsmaßregeln für die Kranke, nahm wieder eine tüchtige Prise, machte, soviel es seine Beleibtheit zuließ, Louisen einen Compliment, das aber mit einem ziemlich gezwungenen Knix erwiedert wurde, und winkte dem ängstlich harrenden Vater zur Thüre hinaus.

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Theodor Eichberger: Der Arzt. Novelle. (7. Fortsetzung)
In: Mainzer Anzeiger Nr. 105 vom 6. Mai 1855, S. 416-417

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