Theodor Eichberger (1835-1917)


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Der Arzt

(9. Fortsetzung)

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Keiner blieb ungerührt von dem Schmerz des Kaufherrn, den sie alle als einen redlichen, gütigen Mann achteten.- Der Buchhalter wollte eben einige Worte der Theilnahme und des Trostes sagen, als Albert von seinem Sitz aufsprang: "Entschuldigen Sie, Herr Hübner! Darf ich einen Augenblick allein um Gehör bitten?"

"Sehr gern!" antwortete der Gefragte und führte ihn in ein anstoßendes Zimmer.

Als sie allein waren, hub Albert zwar etwas schüchtern, aber mit aufrichtiger, Vertrauen erweckender Stimme an zu sprechen: "Werther Herr Hübner! Ihre Klage und das Ihnen drohende Unglück hat mich sehr erschüttert. - Sie sagen selbst, daß der Arzt alle Hoffnung auf das theure Leben Ihrer geehrten Fräulein Tochter aufgegeben haben. Ich bezweifle nicht, daß Sie, als ein stets liebreicher Mann, alles mögliche aufgeboten und der Arzt alle seine Kunst angewendet hat, um die Krankheit zu brechen. - Aber dennoch kann noch Hülfe möglich sein, da der Arzt vielleicht gerade zu dieser Krankheit nicht die rechten Mittel kennt; denn das Fieber ist so verschiedener Natur, daß oft der beste Arzt irre geleitet werden kann und die entgegengesetzten Mittel anwendet. - Ich kenne nun für verschiedene Fieberkrankheiten bewährte Heilmittel, und habe dieselben in meinem Vaterlande oft mit dem schönsten Erfolg angewendet. Wollen Sie daher meiner Wenigkeit das Vertrauen schenken - worum ich Sie innig bitte - so überlassen Sie mir die Behandlung Ihrer Fräulein Tochter, und vielleicht schlägt meine Kunst auch hier nicht fehl, und das Fräulein wird gesund und Sie alle glücklich!"

Herr Hübner hatte zwar anfangs etwas ungläubig den Kopf geschüttelt, als er aber den jungen Mann so sicher und offen sprechen hörte, faßte er Zutrauen zu ihm, und das Fünkchen Hoffnung, welches dieser in seine Brust streute, loderte hell auf.

"Junger Mann!" antwortete er nach einigem Besinnen: "Ich glaube, daß Ihr Anerbieten gut gemeint ist und will Vertrauen zu Ihnen fassen. Versuchen Sie Ihre Heilmittel! Möge der Himmel Ihr menschenfreundliches Bemühen krönen, mit einem schönen Erfolg, und mir alten Mann mein geliebtes Kind wieder schenken. - Bedenken Sie aber wohl, was ich Ihnen anvertraue, Herr Lindloff! und seien Sie vorsichtig in Ihren Kuren."

"Ich danke Ihnen, bester Mann! und schwöre feierlich, daß ich kein Mittel anwenden werde, wovon ich nicht fest überzeugt bin, daß es wirksam ist. - Was mich zu dieser sicheren Aussage berechtigt, will ich, Ihnen später, wenn sie mit geneigtes Gehör schenken wollen, mittheilen. Verzeihen Sie gefälligst einen Augenblick, damit ich mich umkleiden kann, dann wollen wir die Kranke besuchen."

Albert eilte rasch in das Comptoir. Sein Freund Ernst war nicht wenig erstaunt und wußte sich dessen Vorhaben nicht im geringsten zu enträthseln. Doch wollte er in Gegenwart der Commis nicht fragen und ließ ihn ruhig gewähren. Albert war auch mit solcher Hast beschäftigt, daß er diesem gar keine Zeit zum Fragen ließ. - sobald er fertig war, ging er klopfenden Herzens zu dem Prinzipal, der seiner in Gedanken versunken gewartet hatte. Beide schritten nun die Stiege hinauf dem Zimmer Mariens zu.

Gar seltsame Gefühle bewegten die Brust des jungen Mannes auf diesem Gang. Er war theils erfreut die innige Geliebte zu sehen und ihr Hülfe bieten zu dürfen; theils war er wieder zaghaft und ängstlich, und zweifelte, das er so viel Kraft besäße, in ihrer Gegenwart seine heiße Liebe nicht zu verrathen, welches er um keinen Preis wollte. Ja, er wurde so schüchtern, daß er umgewendet wäre, hätte nicht Herr Hübner gerade Mariens Zimmer geöffnet. Als aber Albert da Marien erblickte, zog ihn eine geheime unwiderstehliche Gewalt hin zu ihr.

Louise saß noch immer, in einem Buche lesend, an dem Krankenlager der Schwester. Sie schaute gar verwundert auf, als sie ihren Vater mit Albert Lindloff eintreten sah. - Gleich war sie von ihrem Sitz den eintretenden entgegen, lächelte ihren Vater lieblich fragend an, und entgegnete Alberts Gruß mit einer artigen Verbeugung. Dann zog sie sich nach dem Fenster zurück.

Herr Hübner und Abert traten mit leisen Tritten zu dem Bett, wo Marie in einem sanften Schlummer ruhte. Albert fühlte den Puls der Kranken und betrachtete sie mit einem forschenden, aber wehmüthigen Blick, während er eine Thräne im Aug' zerdrückte. - Also dieses war das herrlich schöne Geschöpf, welches ihn so oft er sie begegnete, entzückte, so daß er kaum fähig war, einen Gruß hervor zu stottern! - Und doch vermochte er nicht, das Auge von ihr zu wenden, und fühlte bei ihrem Anblick die heiße Gluth, mit welcher er sie liebte, sich noch verdoppeln. Er liebte sie rein und wahr, und die mächtige Liebesflamme vereinigte sich jetzt mit einem innigen Bedauern und Mitleid für das kranke Mädchen.

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Theodor Eichberger: Der Arzt. Novelle. (9. Fortsetzung)
In: Mainzer Anzeiger Nr. 107 vom 9. Mai 1855, S. 424-425

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