Der Arzt
(11. Fortsetzung)
Vater und Tochter gingen nun wieder zur Kranken, deren Antlitz ein ruhiges Lächeln umschwebte.
"Nun mein Kind!" fragte Herr Hübner, "schenkst Du denn auch wirklich unserm neuen unstudirten Arzt volles Zutrauen, und unterziehst Dich seiner Behandlung gern?"
"O ganz und gar, bester Vater! Warum soll ich denn auch nicht? Er hat so ein offen ehrliches Gesicht, und spricht so aufrichtig und doch mit Sicherheit, daß ich nicht an seinen Kenntnissen über Fieberkrankheiten zweifeln und also Hülfe hoffen kann."
"Gott gebe, daß sie ihm gelingt! - Er ist jetzt zur Apotheke, eine Arznei für Dich bereiten zu lassen, und vielleicht habe ich das Glück, mein liebes Mariechen bald wieder gesund und heiter umherhüpfen zu sehen. - Für jetzt muß ich Dich auf einige Zeit Geschäfte halber verlassen und der Gesellschaft der muntern Louise übergeben; doch werde ich bald wieder bei Dir sein."
Einen Kuß auf ihre Stirne drückend, und "Adieu ihr Kinder!" sagend, entfernte sich der Vater.
"Guten Morgen, lieber Vater!" riefen Marie und Louise nach.
Jetzt war die ersehnte Zeit des Plauderns gekommen und Louise, die sie nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte, hub an: "Nun aber sage mir Marie, was hältst Du von dieser drolligen Geschichte? Das wäre mir wahrhaftig im Traum nicht, eingefallen, daß dieser Herr Lindloff auch doktoren könnte! - Ist aber übrigens ein ganz netter Mann! und ich möchte ihn auch viel lieber als Arzt haben, als den großen Doktor Vaage, der nichts kann als brummen und Kopfschütteln, und vor lauter Gelehrtheit so die Stirne runzelt, daß sie aussieht wie ein frisch gepflügter Acker. - Und sag' ich Dir! ein Recept hat er geschrieben, so gelehrt und unleserlich wie der beste Doktor."
"Louise Du bist wieder in deiner rosenfarbenen Laune! Mag Herr Lindloff sein was er wolle, das glaube ich, daß er ein guter Mensch ist und auch Kenntnisse besitzt, sonst hätte er nicht mit solcher Sicherheit Hülfe versprechen können. Es war dies keine Charlatanerie, womit viele Aerzte ihre Kunst anpreisen, und auch nicht das gelehrte Stirnrunzeln, Achselzucken und Gesichterschneiden, welches Andere gebrauchen, sondern es war ein ächt menschenfreundliches Anerbieten, verbunden mit einer schönen Bescheidenheit, welches ihm auch ein volles Zutrauen erwarb."
"Du hast Recht! Er ist ein ganz bescheidener, liebenswürdiger Mann, und ich glaube fast, Marie! daß er Dir nur zu gut gefallen hat. Gib nur Acht! daß seine Arznei Dir nicht zum Liebestrank wird, der Dein Herz bezaubert! Doch halt! Das wird ihm ja nicht gelingen, da bereits schon ein Bild in Deinem Herzen steht. Apropos, Du böses Schwesterchen! Du sollst mir ja den Namen von dem garstigen Mann nennen, der so frech war, sein Porträt in Dein Herz zu stellen?"
"Sehr geschmeichelt von dir, Louise! So gar garstig ist der Mann eben nicht, dessen Bild in meiner Seele steht, was Du selbst zugestehen würdest wenn ich ihn nennte. Aber zur Strafe für Deine Complimente soll Deine unbändige Neugierde nicht eher gestillt werden, als bis ich ganz gesund bin."
"Geh' doch! sag' es mir jetzt. Er ist ja schön, schön wie ein Gott, liebreich, himmlisch, entzückend, sag' mir nur seinen Namen. - Du bist auch recht lieb!"
"Nicht eher, wie ich gesagt! Mit Spott erzwingst Du noch viel weniger."
Louise würde Marien noch weiter gefoltert haben, wenn sie nicht abermals gestört worden wäre. - Nach einem leichten Klopfen an der Thüre, trat Albert mit der Arznei ein.
Wir wollen in die Schilderung der Situationen zwischen Albert und Marie, während dessen ärztlichen Behandlung, nicht näher eingehen, da dieses für unsere Leser gewiß sehr langweilig wäre. Es ist überhaupt Thatsache: wenn sich zwei Liebende noch so gut unterhalten, und schon durch stumme Blicke ihre Gedanken gegenseitig errathen, und so beisammen sein könnten wochenlang, ohne sich nach einem anderen Gegenstand der Conversation zu sehnen, daß dabei ein dritter Zuschauer ganz gemüthlich einschlafen kann. Dieses ist hier um so mehr der Fall, da sich unsre Helden noch kein Geständniß ihrer gegenseitigen Liebe abgelegt hatten, und somit Eines in dem Mienen- und Geberdenspiel, in der Betonung der Worte, in den schmachtenden oder flammenden Blicken des Anderen die Liebe zu errathen suchte. Marie war hierin glücklicher, wie es überhaupt die meisten Frauen vermöge ihres feinen Gefühls und Scharfsinns in der Liebe sind, und wußte ehe Albert im entferntesten ahnte, daß sie von Albert innig geliebt ward.
In: Mainzer Anzeiger Nr. 109 vom 11. Mai 1855, S. 432