Theodor Eichberger (1835-1917)


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Der Arzt

(19. Fortsetzung)

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"Unsere gute Louise kann doch immer fröhlich sein," sagte Marie, Alberts dargebotenen Arm nehmend. Beide wandelten, im Anschauen der schönen Anlagen und tausend süßduftenden Blumen versunken, und von seligen Empfindungen bewegt, still durch die gewundenen Gänge, bis sie eine schöne, traulich winkende Laube erreichten, wo sie sich niederließen. Aus der Ferne ließ sich von neuem Louisens munterer Gesang hören und Beide lauschten:

"Blumen, blühend voller Pracht,
Habet Acht
Vor den losen Schmetterlingen!
Wenn euch einer Lieb' verspricht:
Laßt ihn nicht
Bis in euer Herzchen dringen.

Manches Blümchen, unbelehrt,
Ward bethört
Von des Gauklers kosend Werben!
Und als er sich satt gefreut:
Ließ im Leid
Er das arme Blümchen sterben.

Doch wenn eine Rose sich
Minniglich
Einem Vöglein will vertrauen:
Mach' sie gleich, daß es gelingt!
Vöglein singt
Dann ihr Lob beim Nestchenbauen."

Als Louise ihren Gesang geendet, hub Albert, den Blick in die Gartenanlagen gerichtet, an: "O wie schön, wie Herrlich, ist es hier! Wie die zarten, an Farbenschmelz wetteifernden Blumen so himmlisch zu schauen sind und die kräftigen Bäume ihre starken Aeste wie zum Schutz über sie ausbreiten. Welche erhabenen Gefühle durchströmen unsre Seele, erheben das Herz zur heiligen Andacht beim Anblick der ewigen Gottesnatur! Alles athmet Liebe und Eintracht, und nur der Mensch, das vollendetste Geschöpf Gottes, läßt sich so oft, gebannt in die kalten Mauern der Städte, hinreißen zu wilden verderblichen Leidenschaften, und mißbraucht den edlen, sonst seinem Geschöpf in so großem Maß ertheilten Gottesfunken, Gefühl, Phantasie, zu gemeinen Lastern. - Ach, wäre doch die ganze Welt ein einziger Garten heiliger Unschuld, darin die Menschen in idyllischer Einsamkeit, in reiner Liebe und Freundschaft wohnen könnten!"

Marie, die in träumerisches Schauen versunken war, fragte nach einer Weile, mit einem seelenvollen Blick auf Albert: "Können wir denn nicht der Liebe und Freundschaft auch in unsern Städten huldigen, wenn wir nur wollen?"

"Ja wir könnten's, theures Fräulein! wenn nicht so manche Hindernisse im Weg ständen."

"Und haben auch sie darüber zu klagen?"

"Ach, Fräulein Marie! Gar Manches bewegt unser Herz, was wir nicht mittheilen dürfen und wir müssen dem sogenannten Anstand, dem Cermoniell, oft unsre tiefsten Gefühle opfern."

"Das ist leider wahr! Aber wir verkennen auch oft die Menschen und gehen mit kalten Höflichkeiten vorüber, wo unser Herz Theilnahme und Mitgefühl gefunden hätte. - Lassen Sie mich Ihren Kummer wissen, Herr Lindloff! Ich werde ihn als theilnehmende Freundin würdigen."

"O Fräulein! dürfte ich Ihrer Freundschaft würdig sein; dürfte ich Ihnen alles, alles klagen?"

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Theodor Eichberger: Der Arzt. Novelle. (19. Fortsetzung)
In: Mainzer Anzeiger Nr. 118 vom 23. Mai 1855, S. 468-469

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