„Ehret die Frauen“ am Postschalter.

Die alte Mainzer Hauptpost am Brand 15
Frei nach Schiller.
Ehret die Frauen durch höfliches Wesen,
Ihr, die Ihr ritterlich
dazu erlesen,
Wenn sie sich schüchtern dem Postschalter nah'n;
Laßt sie nicht zaghaft hervor sich erst drücken,
Stehen und warten,
ob's ihnen mag glücken,
Daß sie zur Abfert'gung kommen daran.
Leicht durchbricht ein Mann die Schranken
Im Gefühle seiner Kraft,
Drückt,
mag auch die Menge wanken,
Sich hervor
mit Leidenschaft.
Ist am Schalter,
eh' man's merket,
Wird sofort sein
Poststück los,
Weil der Eifer ihn bestärket,
Ist's Gedränge noch so groß.
Aber mit niedergeschlagenem Blicke,
Bleiben die zärteren Frauen
zurücke.
Kommen der Reihe nach selten zum Recht;
Stehen und
harren gewöhnlich am längsten,
Blicken zum Schalter mit Sorgen und
Aengsten,
Bis erst befördert das starke Geschlecht!
Rastlos
ist des Mannes Streben,
Zarte Rücksicht
schwindet bald!
Im geschäftlich regen
Leben
Will er keinen Aufenthalt.
Mag er sonst im Frauenkreise
Liebenswürdig,
zärtlich sein,
Auf der Post und auf
der Reise
Denkt er nur an sich allein.
Aber das Postschalter, das vielbegehrte,
Macht manchem liebenden
Mägdlein Beschwerde,
Weil man oft wenige Rücksicht dort nimmt.
Und es hält sorgsam das Päckchen in Händen,
Will es die Gabe doch
selber versenden,
Die zum Geschenk dem Geliebten bestimmt.
Siehe!
die lebend'ge Mauer,
Die da vor dem
Schalter steht!
Selbst dem Hausknecht
wird es sauer,
Der wahrhaftig doch
nicht blöd!
Welch ein Vorwärtsdringen
eben,
Kaum noch lichtet sich der Kreis!
Hat doch mancher aufzugeben
Postpackete
dutzendweis.
Rückwärts dem Männergewühle, ganz hinten
Sind aber etliche Damen
zu finden,
Harrend und immer zurück doch gedrängt
Von der erlösenden
Annahmestelle!
Ach! und sie wär'n abgefertigt so schnelle,
Da's
doch an einem Packetchen nur hängt.
Der geschmeid'ge
Commis freilich
Schiebt sich leicht
durch das Gedräng,
Wie der kecke Lehrling
eilig,
Wär der Weg auch noch so eng.
Ist auch mancher nicht in Eile,
Hat
zum Warten vollauf Zeit;
Warten macht
ihm Langeweile,
Darum schiebt er kampfbereit.
Aber der harrenden Frauen, der armen,
Denkt eben keiner mit stillem
Erbarmen,
Trotzdem dies allwärts doch männliche Pflicht;
Keiner
mag warten den Frauen zuliebe,
Die wir verehren mit innigem Triebe
-
Wenigstens, ach! an dem Postschalter nicht!
D'rum
nehmt Ihr Euch an der Frauen,
Postbeamte,
werthe Herr'n!
Wollt nach ihnen
höflich schauen,
Wenn sie auch dem
Schalter fern.
Laßt sie nicht so lange
ringen,
Wenn die Menge sie vertreibt;
Nehmet freundlich, was sie bringen,
Wie's das Reichspostamt vorschreibt.
Ist es doch herrlich, den Frauen zu dienen!
Wenn sie gar danken
mit lieblichen Mienen,
Wie das den Mann, den sonst ernsten, dann
labt!
Oft könnt Ihr Euch diese Labung bereiten:
Wahrlich! Ihr
Herren, Ihr seid zu beneiden,
Wenn Ihr beim
Schalterdienst Frauendienst habt.

In: Der Spaßvogel vom ???