Theodor Eichberger (1835-1917)


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„Ehret die Frauen“ am Postschalter.

Das alte Mainzer Postamt
Die alte Mainzer Hauptpost am Brand 15

Frei nach Schiller.

Ehret die Frauen durch höfliches Wesen,
Ihr, die Ihr ritterlich dazu erlesen,
Wenn sie sich schüchtern dem Postschalter nah'n;
Laßt sie nicht zaghaft hervor sich erst drücken,
Stehen und warten, ob's ihnen mag glücken,
Daß sie zur Abfert'gung kommen daran.
Leicht durchbricht ein Mann die Schranken
Im Gefühle seiner Kraft,
Drückt, mag auch die Menge wanken,
Sich hervor mit Leidenschaft.
Ist am Schalter, eh' man's merket,
Wird sofort sein Poststück los,
Weil der Eifer ihn bestärket,
Ist's Gedränge noch so groß.

Aber mit niedergeschlagenem Blicke,
Bleiben die zärteren Frauen zurücke.
Kommen der Reihe nach selten zum Recht;
Stehen und harren gewöhnlich am längsten,
Blicken zum Schalter mit Sorgen und Aengsten,
Bis erst befördert das starke Geschlecht!
Rastlos ist des Mannes Streben,
Zarte Rücksicht schwindet bald!
Im geschäftlich regen Leben
Will er keinen Aufenthalt.
Mag er sonst im Frauenkreise
Liebenswürdig, zärtlich sein,
Auf der Post und auf der Reise
Denkt er nur an sich allein.

Aber das Postschalter, das vielbegehrte,
Macht manchem liebenden Mägdlein Beschwerde,
Weil man oft wenige Rücksicht dort nimmt.
Und es hält sorgsam das Päckchen in Händen,
Will es die Gabe doch selber versenden,
Die zum Geschenk dem Geliebten bestimmt.
Siehe! die lebend'ge Mauer,
Die da vor dem Schalter steht!
Selbst dem Hausknecht wird es sauer,
Der wahrhaftig doch nicht blöd!
Welch ein Vorwärtsdringen eben,
Kaum noch lichtet sich der Kreis!
Hat doch mancher aufzugeben
Postpackete dutzendweis.

Rückwärts dem Männergewühle, ganz hinten
Sind aber etliche Damen zu finden,
Harrend und immer zurück doch gedrängt
Von der erlösenden Annahmestelle!
Ach! und sie wär'n abgefertigt so schnelle,
Da's doch an einem Packetchen nur hängt.
Der geschmeid'ge Commis freilich
Schiebt sich leicht durch das Gedräng,
Wie der kecke Lehrling eilig,
Wär der Weg auch noch so eng.
Ist auch mancher nicht in Eile,
Hat zum Warten vollauf Zeit;
Warten macht ihm Langeweile,
Darum schiebt er kampfbereit.

Aber der harrenden Frauen, der armen,
Denkt eben keiner mit stillem Erbarmen,
Trotzdem dies allwärts doch männliche Pflicht;
Keiner mag warten den Frauen zuliebe,
Die wir verehren mit innigem Triebe -
Wenigstens, ach! an dem Postschalter nicht!
D'rum nehmt Ihr Euch an der Frauen,
Postbeamte, werthe Herr'n!
Wollt nach ihnen höflich schauen,
Wenn sie auch dem Schalter fern.
Laßt sie nicht so lange ringen,
Wenn die Menge sie vertreibt;
Nehmet freundlich, was sie bringen,
Wie's das Reichspostamt vorschreibt.

Ist es doch herrlich, den Frauen zu dienen!
Wenn sie gar danken mit lieblichen Mienen,
Wie das den Mann, den sonst ernsten, dann labt!
Oft könnt Ihr Euch diese Labung bereiten:
Wahrlich! Ihr Herren, Ihr seid zu beneiden,
Wenn Ihr beim Schalterdienst Frauendienst habt.

Siegel des Telegraphenamts Mainz
Theodor Eichberger: "Ehret die Frauen" am Postschalter.
In: Der Spaßvogel vom ???

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