Der Wucherer,
sein Knabe und der Zeitgeist.
(Schluß)
Wucherer.
Ach wehe! wie brennt's
mir im Busen so hell!
Ach wehe! wie leuchtet's im Hirne so grell!
Viel bleiche Gestalten
Mit Runzeln und Falten,
Hohläugig
und hager,
Verhungert und mager;
Mit Wunden und Beulen,
Mit blutenden Händen:
Sie grinsen und heulen,
Sie drehen und
wenden
Und schreien nach mir mit verfluchender Stimm'!
Und packen
mich an mit entsetzlichem Grimm',
Und rufen nach Brod - ach! und
reißen, o Graus!
Das Herz mir mit glühenden Zangen heraus.
Sie
wühlen im Eingeweid' - zerren mich fort:
Allmächtiger Geist, habe
Mitleid - ein Wort!
- Ha, wie die Gespenster mir grinsen, mich höhnen
-
O sag', wie kann ich Gott und' Geister versöhnen?
Der Wuchrer liegt, von Schmerz und Reu' zerwühlt;
Verzweiflung
brennt das Mark aus seinen Knochen -
Verblendung war's, die ihn
gefesselt hielt;
Nun wird sie durch den innren Schmerz gerochen.
So wie ein Mörder nach der That, so fühlt
Er jetzt was er an Menschen
schwer verbrochen.
Von Allem, was sein Gold ihm vorgelogen,
Ist schrecklich kalt der Vorhang weggezogen.
Zeitgeist.
Ist deine Reue wahr und
rein,
So wird dir Gott barmherzig sein!
Doch ich kann dir nicht
Gnade spenden,
Mein Wirken ist der Welt - der Zeit:
Empfange
sie aus Gottes Händen,
Dem Vater der Barmherzigkeit:,
Zu ihm!
zu ihm mußt du dich wenden -
Dem Herrn, der in dem All gebeut.
-
Doch nicht mit Worten, nein! mit Thaten
Mußt du dich deiner
Schuld entladen.
Zieh' hin! benütz' die Spanne leben,
Die Gott
dir gütig zugeheilt,
Benütze sie zu höherm Streben!
Eh' dich
der blasse Tod ereilt.
Zieh' hin die kurze Lebensbahn,
Und jag
den unglücksel'gen Wahn,
Der dir in dem Gehirn gelodert,
Daß
selbst die Seel' im Körper modert,
Der dir ein falsches Glück gelogen,
So daß dem Geist - von Nacht umzogen -
Mit Recht der ganzen Menschheit
Haß,
Selbst Gott den Heiligsten vergaß;
Den Wahn, der wie ein
Alp dich drückt,
Und jeden edlen Keim erstickt;
Den Wahn, aus
dem ein Teufel lacht:
Daß Gold den Menschen glücklich macht!
- Das wahre Glück der Menschenherzen
Ist Mitleid für der Armuth
Schmerzen!
Des Paradieses Himmelslust
Baust du in deiner eignen
Brust;
Der segensreichste Herzensfriede
Entsproßt zur reinsten
Himmelsblüthe:
Wenn in des Reichen Brust, bewegt,
Ein Herz für
arme Menschen schlägt!
- O glaub'! Es quellen heil'ge Wonnen
Aus Gott des Vaters ew'gem Bronnen
Zum Erdenpilger reich hernieder!
Umklingen ihn mit Engelslieder;
Umschweben ihn auf allen Wegen;
Umkränzen ihn mit Gottessegen! -
Soll ich sie nennen, diese
Wonnen -
Die fruchtbarer als Weltensonnen?
Es ist des Wohlthuns
heilig Wirken
In schwer bedrückten Nothbezirken;
Es ist die
feste Willenskraft,
Durch die der Mensch sich Wonnen schafft;
Es sind die Gottverklärten Triebe:
Gefühl für Armuth - Menschenliebe!
- Dem Menschen ward die hohe Pflicht,
Daß er die Noth der Armuth
bricht;
Und dem, der diese Pflicht geübet,
Der in den Menschen
Brüder liebet:
Dem drücket einst, in sel'ger Ruh',
Ein Engel
sanft das Auge zu!
All' andres eitle Goldessinnen
Wird wie ein
Staub im Meer zerrinnen,
Wird wie ein Hauch im Wind vergehen:
Doch Mitleid - Tugend bleibt bestehen!
- O glaub'! Ein ewiges Vergelten
Wohnt über diesen Erdenwelten!
Es wohnen jedem Weltverbrecher
Im eignen Herzen mächt'ge Rächer,
Die ihm schon hier in Seelenqualen
Die Zeichen ew'gen Fluches malen..
- Drum; raff', du arg verirrter
Mann,
Dich aus des Goldeswahnes Bann;
Ueb' thätig Mitleid an
den Armen,
Dann wird sich Gott auch dein erbarmen.
- Zieh' hin!
Benütz' des Wuchers Früchte,
Das eingescharrt gestohl'ne Geld,
Gebrauche es zum Wohl der Welt!
Dann wird mit himmlisch mildem Lichte
Die irre Seele aufgehellt;
Dann kannst du wieder Gottes Wesen
Mit Andacht in den Sternen lesen;
Kannst freudig auf zum Himmel
schauen
Und auf das Jenseits froh vertrauen.
Und hast du solche
Lust genossen,
Dann wirst - was hier dem Blick verschlossen -
Im Jenseits schauen voller Klarheit:
Des ew'gen Gottes heil'ge Wahrheit!
- Laß nimmer dich vom Wahn bethören,
Den heil'gen Glauben nimmer
stören:
Ein Gottesgeist durchweht die Welt!
Die Tugend schützt
das Sternenzelt!
Und Liebe, Treu', Barmherzigkeit
Sind Preise
ihrer Herrlichkeit!
- Zieh' hin! Es steht dir treu zur Seite
Ein Engel, nimm ihn zum Geleite:
Dein Kind, voll Unschuld, gut und
rein,
Laß es dein heilig Vorbild sein!
Befolg' der Unschuld
Tugendtriebe,
Dann wandelst du den Weg der Liebe!
Den gehe treu,
bis du vollendet.
Leb' wohl, mein Auftrag ist geendet.
Wie süßer Rosenduft die Flur durchzieht
Wenn heil'ger Friede
auf der Erde waltet,
Wenn mild im Morgenthau die Sonne glüht
Und jede Blume sich dem Licht' entfaltet:
So strömt es wie ein himmlisch
hohes Lied
In's Herz des Wuchrers, das vordem erkaltet.
Er faßt
sein Kind mit brünstigem Verlangen,
Drückt's an die Brust - küßt
liebend ihm die Wangen.
Die Seele strahlt in lichtem Morgenroth;
Er fühlt, geläutert,
ihren mächt'gen Willen:
Das heil'ge Werk, so ihm der Geist gebot,
An armer Menschheit treulich zu erfüllen.
In stummer Wonn' erfreut
er wieder Gott!
Und reiche Zähren seinem Aug' entquillen. -
Zum Erstenmal' schöpft aus des Kindes Blicken
Der Wuchrer hoher
Vaterlust Entzücken.
Verzogen ist des Sturmgewitters Nacht,
Ein sanfter West bewegt
des Kornes Wogen.
Und die Natur erglänzt in neuer Pracht,
Der
Himmel strahlt, mit lichtem Blau bezogen;
Der Waldessänger muntrer
Sang erwacht,
Und hoch erscheint ein Friedens-Regenbogen:
Auf
Vater - Kind strahlt er so mild hernieder -
O Wonn'! Der Wuchrer
ward zum Menschen wieder!
In: Mainzer Anzeiger Nr. 202 vom 1. September 1855, S. 782-783