Der Centralbahnhof

Der Mainzer Centralbahnhof
Die Eisenbahntrasse durch Mainz führte ursprünglich am Rheinufer entlang; der alte, 1853 eröffnete Hauptbahnhof befand sich in der Nähe des Holzturms an der Rheinstraße. Zwischen 1880 und 1884 wurde die Eisenbahnstrecke auf Anraten des Stadtbaumeisters Eduard Kreyßig vom Rheinufer an den damaligen Westrand von Mainz versetzt ("Umführung der Bahn"). Nach den Plänen des Architekten Berdellé wurde dort, wo der alte Teil von Mainz (die Altstadt) und die Mainzer Neustadt (das Gartenfeld) zusammentreffen, der neue Hauptbahnhof erbaut.
Das nachstehende Gedicht von Theodor Eichberger erschien am Tag der Eröffnung des neuen Hauptbahnhofes in den Mainzer Nachrichten:
Zur Eröffnung des Centralbahnhofes
am 15. Oktober 1884
Ein Jubelhymnus töne, der Vaterstadt geweiht!
Es prangt in seiner
Schöne, im neuen Feierkleid
Heut' unser liebes, schönes, neu auferblühn'des
Mainz,
Und freudevoll ertön' es am Strand des grünen Rheins!
Der Bau ist nun vollendet, der - schon so lang ersehnt -
Der
Neustadt Leben spendet, die Stadterweit'rung krönt;
ein Bahnhof,
schön und mächtig, ist Dir, o Mainz, bescheert,
Wie Du so stolz
und prächtig ihn selber kaum begehrt.
Doch Du bist dessen würdig, o theure Vaterstadt,
Daß man Dich
ebenbürtig gestellt auch endlich hat
Den Schwesterstädten; prangend
kannst' ihnen Dich anreih'n,
Sollst ferner nicht - verlangend -
das Aschenbrödel sein! -
Wie hatt' Dich, ach! so lange die Festung eingeengt -
Dem Bürger
wird's noch bange, der jener Zeit gedenkt!
Als rundum alle Städte
aufstrebend sich geregt,
Hielt Dich die Festungskette und Du warst
lahmgelegt.
Die Fesseln mußten weichen, die Wälle sind dahin,
Als opferfreudig
Zeichen von schönem Bürgersinn;
Ja, Deine Bürger lösten die allzuenge
Haft.
Das Opfer mag sie trösten, es zeigte eigne Kraft!
Wo sonst der Wälle Rasen sich still geschmückt mit Grün,
Da ziehen
breite Straßen gar schmuck darüber hin;
Wo nur der Bäume Aeste zum
Himmel aufgeschaut,
Erheben sich Paläste gar kunstreich aufgebaut.
Das ist ein frisches Regen, ein tausendfält'ger Fleiß;
Das ist
der Arbeit Segen, der Mühe schöner Preis;
Das ist ein neues Walten,
die Kunst kann neu erblüh'n,
Der Handel sich entfalten, das Handwerk
lohnend müh'n!
Und wenn erst neues Leben der neue Bahnhof bringt,
Mit seinem
kräft'gen Streben den stillen Theil durchdringt;
Wenn's erst in
vollen Zügen da strömet aus und ein,
Da wird es wohl sich fügen
der Neustadt zum Gedeih'n.
Das große Werk, vollendet steht es zum Theil schon da
Und, wahrlich,
Beifall spendet man Dir, Moguntia!
Hast Du auch schwer gerungen
und Opfer dargebracht,
Es ist Dir doch gelungen, Du strahlst in
neuer Pracht.
O mög' es dir gedeihen zum Wohle allezeit,
Damit Du in den Reihen
der Städte weit und breit
Sowohl der schönsten eine wirst gern geheißen
sein,
Als auch der allgemeine Wohlstand kehrt bei dir ein!
Mög' holder Friede lohnen, was Du geschafft, gesorgt,
Damit Du
die Millionen, die wir dafür geborgt,
Kannst tilgen, wie nicht minder
die Zinsen, die nicht ruh'n,
So daß sich Deine Kinder nicht wehe
dabei thun!
O Himmel schirme gnädig stets unser neues Mainz,
Dann schafft's
empor sich stetig zur schönsten Stadt des Rheins.
Wir konnten's
ja nicht dulden, daß ihm gefehlt die Pracht;
Vergib uns uns're Schulden,
die deshalb wir gemacht! -
Doch bei den Musikchören, den Häusern reich geziert,
- Wie's,
diesen Tag zu ehren, die Neustadt arrangirt -
Beim frohen Festgewimmel,
Beim Strahl vom Bogenlicht
Vergiß, o Gott im Himmel, auch uns're
Altstadt nicht!
Sie will ja auch noch leben, obgleich sie schon so alt!
Und kann
sie dies erstreben, dann ruft sie, daß es schallt -
Und keine Stimme
bebe, weil Neid da überwog:
Der neue Bahnhof lebe, der Bahnhof lebe
hoch!
In: Mainzer Nachrichten Nr. 242 vom 15. Oktober 1884