Theodor Eichberger (1835-1917)


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Das Narren-Reichstags-Lied

Skizze zum Narren-Reichstags-Lied aus der Narrenzeitung

Mel.: Vivat hoch es leben alle Lumpen.

Freunde, laßt uns heute närrisch tagen,
Wie sich's wohl gebührt zur Fastnachtszeit,
Und erled'gen alle närr'schen Fragen,
Welche irgendwie von Wichtigkeit.
:,: Was im Innern drückt - und im Aeußern zwickt,
Mag es sein social - oder colonial,
Wollen wir in unserm Narren-Reichstag
Discutiern zum Wohl des Narrenreichs :,:

Unser Narren-Reichstag - welch ein Segen -
Kam zusammen ohne Narrenwahl,
Ohne schrecklichen Flugblätterregen,
Ohne alle Candidatenqual.
:,: Ohne Aergerniß - ohne Compromiß,
Ohne Redeschwall - ohne Wahlkrawall,
Denn wir stehen Alle treu und einig
Nur zu unserm Prinzen Carneval! :,:

Unser Kanzler soll sich nicht beschweren,
Daß zu groß die Arbeitslast ihm sei;
Will er seinen Direktor vermehren,
Geben wir ihm gern statt einem zwei!
:,: Zwanzigtausend Mark - sind ja nur ein Quark
Für das Narrenreich! - Und ein Narrenstreich
Wär' es für uns Narrn, wenn wir da knixten -
Nein, der Narren-Reichstag ist nicht "so!" :,:

Ferne bleibe uns der Splitter-Richter
Und der Narren-Partikularist!
Nur Zufriedenheit schmück' die Gesichter,
Weil das "ganze Haus" so einig ist.
:,: Nicht verdirbt den Spaß - hier Parteienhaß,
Weil uns nimmer droht - weder schwarz noch roth;
Roth erglühen höchstens uns're Wangen
Und am End' wird wohl auch "einer" schwarz. :,:

Nach Diäten hört man Keinen fragen,
Deshalb sind stets Alle gerne still!
Jeder Narren-Reichsbot' kann ja sagen
Unsern Kellnern, was er haben will;
:,: Mag es noch so sein - noch so theuer sein,
Es ist ihm erlaubt - Alles überhaupt,
Was da Küch' und Keller Gutes bieten,
Darf er sich bestellen - ganz nach Wunsch! :,:

Weder "Linke" gibt es hier noch "Rechte",
Narren-Centrum ist auch keines da!
Wer den "Hammelsprung" hier machen möchte,
Würde ausgelacht - Hier gibt's nur "Ja!"
:,: Unter Narrenstuß - fassen wir Beschluß,
Der's macht Allen leicht - und zum Heil gereicht!
Deshalb bleibt auch unser Kanzler gerne
Und ist immer kreuzfidel dabei. :,:

Colonisten sind uns auch willkommen,
Wenn sie Vorträg' halten umso mehr!
Was wir kriegen können wird genommen,
Wär es wirklich auch so weit nicht her.
:,: Ob aus Frankfurt sie - oder Hanau "hie";
Ob geschickt sie hat - weither Sel'genstadt:
Alle "unbekannten fernen Länder"
Oeffnen wir uns jetzt zum Witz-Import.

Also, Freunde, laßt uns fröhlich tagen,
Laßt das Narrenreich in Kraft besteh'n.
Und kein Krittler soll am Schlusse sagen:
In dem Narren-Reichstag war's "nicht schön."
:,: Einigste Partei - ist die Narrethei;
Narrheit - Einigkeit - walten alle Zeit;
Darum stimmt mit ein aus voller Kehle:
Vivat hoch die schöne Fastnachtszeit! :,:

Theodor Eichberger: Narren-Reichstags-Lied
In der Narrenzeitung zum Humoristischer Herrenabend des Sängervereins Offenbach am Fastnacht-Dienstag, dem 17. Februar 1885.

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