Theodor Eichberger (1835-1917)


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Ein Groß-Agrarier. [1904]

Narrhalla-Vortrag von Th. Eichberger, vorgetragen von Hugo Hilge.

Kunibert von Stritzelstrunski,
Sagt' ich dieser Tag' zu mir,
Auf und zu Gross-Dusseldunski
Langweilst Du entsetzlich Dir.

Klagen sind ja noch dieselb'gen:
Hungertuch und Jammerstall!
Fort 'mal also aus Ostelbien,1
Bin zum Mainzer Carneval.

Sind wir armen Gross-Agrarier
Doch noch bodenlos jedrückt,
Und trotz uns'rer Parl'mentarier
Ist kein Strohdach noch jeflickt.

Aus Kartoffeln können machen
Wohl wir unsern Spiritus,
Aber Ihr könnt närrisch lachen,
Lebt nur so im Ueberfluss!

So was will bei uns nicht wachsen,
Finde das bedauerlich,
Sonst wär's selbst im Lande Sachsen
Nicht so krimmitschauerlich.

Hauptmann wie die Arbeitjeber
Wussten dorten überhaupt,
Dass die Aufführung der Weber
Nicht von der Zensur erlaubt.2

Ja, ein Jungbrunn ist der Freitag
Abend hier, das sieht man klar,
Wie's der Dresdener Parteitag
Für den ollen Bebel war!

Bebel hat's jezeigt den Sozen,
Als er da als starker Mann
Andre jrosse Sozen-Protzen
Tat sofort in Acht und Bann.

War ein Schauspiel ja für Götter,
Wie für uns Agrarier auch,
Und Graf Bülow, dieser Spötter,3
Machte nett davon Jebrauch. -

Haben unerhört jemacht sich
Bei der letzten Reichstagswahl;
Sozis sitzen einundachtzig 4
Eben drin - welch ein Skandal!

Standsjenosse Limburg-Stirum
Und Freund Kardorf seh'n schon droh'n 5
Als soziales Larumlirum
Neunundachtz'ger Revolution.

Stimmt ja auch nach Adam Riese,
Fehlen acht nur - Zahl ist klein,
Und nach noch 'ner Zahl wie diese
Können's neunundachtzig sein!

Will hiergegen man versuchen,
Scharf zu machen - wie's nur jut,
Sagt der Kanzler noch: "Ja, Kuchen",6
Wenn er sie abkanzeln tut.

Nicht droht man mit Kanonaden,
"Wenn Du nicht mein Freund willst sein,"
Sondern 's heisst bloss mit Zitaten
"Schlag ich Dir den Schädel ein!"

Alle müssten Engel werden,
Falls die Sozi 's durchjesetzt,
Doch wie man das macht auf Erden,
Weiss kein Teufel noch bis jetzt. -

Zu human ist eben Jeder,
Will da scharf nicht fassen an,
Wie der Serbenkönig Peter,7
Der nun mal nicht anders kann.

Unter welchen Leuten steht er, -
Die "geräumt" den Thron ihm ein!
Wollte lieber Struwwelpeter,
Als der Serbenpeter sein!

Kaum ist mit dem kleinen Maier
Erst vorüber die Jeschicht,
Kommt als "Professor" ein neuer
Grosser Meyer vor's Jericht.

Gibt's noch so der Maier viele,
Ist uns das nicht einerlei:
Wasser auf der Sozis Mühle
Jiesst nur diese Meierei!

Unser Wunsch will nicht uns frommen,
Dass Graf Bülow hilft express,
Und 'nen schönen Tags kann kommen
"Sturmgeselle Sokrates!"

Müssen also uns bequemen,
An der Sozialisten Brauch
Ein Exempel uns zu nehmen,
Machen wie die's machen auch.

Dürfen nimmer der Bescherung
Tatenlos entgegenseh'n;
Müssen sorgen für Vermehrung,
Wie die Sozis das versteh'n.

Alles müssen wir vermehren,
Und wollt uns bei diesem Schritt
Die Jeschäftsordnung mal stören -
Einfach nischt wie weg damit!

Zölle - sehr einträglich sind sie.
Darum immer mehr vermehrt;
Jrade unser deutsches Rindvieh
Steigt speziell da noch im Wert.

Aber nicht nur Ochsen, Kälber
Müssen wir vermehren nun:
Frisch vermehren wir uns selber,
Wie's die Sozis fleissig tun.

An den Müttern tut's da liegen,
Müssen noch, kost' sie's auch Müh',
In dem Alter Kinder kriegen,
Wie die Gräfin Kickricki.

Aber still von! Ausgeschlachtet
Ist schon dieses Heldenweib;
Jeder Redner hat getrachtet,
Ihm zu rücken auf den Leib!

Red' auch nichts vom Heldenvater,
Der 's ja zugestanden glatt,
Dass er noch als alter Kater
Immer sein "Verhältnis" hatt'.

Die "Verhältnisse" sind's eben,
Sonst würd's ja so nebenbei
Keine "Liebesschaukel" geben
Und auch keine "Liebelei!"

Kein "Verhältnis" wär' Versäumnis,
Da Vermehrung wird erreicht
Und sich so "das gross' Geheimnis"
Nachher als ein "Kleines" zeigt.

Wo bleibt aber, könnt' man fragen,
Die Moral von der Geschicht'?
Sieht sie einer, kann er's sagen?
Nein! - ich seh' auch keine nicht!

Sag' das aber nur vertraulich,
Nicht soll's in den "Vorwärts" gleich,
Da's nicht sonderlich erbaulich,
Sonst gibt's grossen "Zapfenstreich"

Publiko braucht's nicht zu wissen,
Reden wir drum keinen Ton
Von den scharfen Bilse-Bissen
"Aus 'ner kleinen Garnison".8

Volk braucht's ferner nicht zu wissen,
Macht Minister Jeu mal Spass;
Silberjeld vom Tisch jeschmissen
Pour Je garcon - nobel, was?

Oldenburg 'ne schöne Jegend,
Forbach auch ein nettes Nest,
Wenn man's - Spiel und Liebe pflegend
Nur zum Druck nicht kommen lässt!

So was passt mal nicht für Jeden,
Bringt nur bis zum Ueberdruss,
Trotz der schönsten Bülowreden
Stimmung Simplicissimus.

Halbe's Stück tuts ja beweisen,
Wie "der Strom" sich eben staut;
müsste doch "der Stromzoll" heissen,
Da wär' Edler von erbaut"

Müsst' in unsere Taschen fliessen
Liebesjabe abermals,
Könnten hier dann mehr jeniessen
Freuden Eures Carnevals.

Treffen uns ja auch alljährlich
In Berlin im Zirkus Busch,
Und der Sekt fliesst da nich spärlich,
Aber 's fehlt der närr'sche Tusch!

Fehlt die herrliche Narrhalla,
Die Euch Mainzern steht bereit,
Diese richtige Walhalla
Rheinischer Gemütlichkeit!

Darum schliesslich auch erkläre,
Was Euch freu'n wird unjemein:
Wenn nicht Gross-Agrarier wäre,
Möcht' ich Narrhallese sein!

1   Ostelbien war das Gebiet östlich der Elbe; dieser Landstrich galt als besonders rückständig und war noch bis ins 20. Jahrhundert durch feudalistische Machtstrukturen geprägt.

2   Das Drama "Die Weber" des Schlesiers Gerhart Hauptmann stand noch unter Zensur und durfte im Reich nicht aufgeführt werden.

3   Bernhard Martin Heinrich Carl Graf von Bülow (1849-1929) war von 1900 bis 1909 Reichskanzler.

4   Bei den Reichstagswahlen am 16.06.1903 war die SPD zweitstärkste Fraktion nach der Zentrumspartei geworden und stellte 81 Abgeordnete im Reichstag

5   Friedrich Wilhelm Graf von Limburg-Stirum (1835-1912); Wilhelm von Kardorff (1828-1907) war Führer der Freikonservativen im Preußischen Landtag und im Reichstag

6   1899 hatte Reichskanzler Bülow, damals noch Außenstaatssekretär, in einer Rede geäußert, dass nun auch Deutschland ein Stück vom "Kuchen" der Kolonialisierung haben sollte, den damals "andere sich teilten".

7   Peter "Serbenpeter" Karadordevic (1844-1921) war zwischen 1903 und 1918 König von Serbien.

8   1903 stand der Leutnant Fritz Oswald Bilse vor Gericht, weil er in seinem Roman "Aus einer kleinen Garnison. Ein militärisches Zeitbild" die skandalösen Zustände seiner Garnison im lothringischen Forbach dargestellt hatte. Das Buch wurde verboten, Leutnant Bilse wurde mit sechs Monaten Haft bestraft und aus dem Militärdienst entlassen.

Theodor Eichberger: Ein Groß-Agrarier. Narrhallavortrag, gehalten von Hugo Hilge.
In: Mainzer Carneval-Zeitung Nr. 5 (Doppelnummer), 1904, II. Jg. Hg. Aug. Fürst und Karl Kneib.

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