IIII. Kabale und Liebe.
Am anderen Morgen sass der würdige Schweinemetzgermeister Hackklotz eingeseift in seiner Ladenstube, um sich vom Barbier Schaumig rasieren zu lassen. "Doktor" Schaumig, Meister in seiner edlen Kunst und ehrenhafter alter Junggeselle, war der Vertraute in der Hackklotz'schen Familie; besonders Lorchen lachte oft herzlich über die Schnurren des possirlichen Männleins, während ihn Tante Fränz seiner Galanterie wegen mehr als hochschätzte.
"Na, die Disch'schen Bootchen werden wohl am eisern Thor verbleiben," sagte er, sein Rasirmesser abziehend.
Meister Hackklotz liess ein Brumen vernehmen, wie fernes Donnergrollen.
"Soeben hat die Brandplätzer Adresse die hundertste frischrasirte Unterschrift erhalten."
"Wer war das, Doktor?" fragte Hackklotz, den Athem anhaltend.
"Der liebe Gevattermann Presskopf," antwortete der wackere Chirurgus nicht ohne Schadenfreude.
Da geschah etwas Furchtbares; der gekränkte eingeseifte Meister wurde kirschroth vor Wuth, während das eben noch rosigroth blühende Lorchen kreiseweiss vor Weh wurde.
"So! unnerschriwwe hot er - ab is es mit'm Schambes - das schwörn ich - -" Und dabei that er einen Fluch, wie er sonst von einem Schweinemetzgermeister nicht zu hören ist. - "O Vadder," jammerte die schmerzgebeugte Jungfrau händeringend, "schwör nit! du host schun öfters geschwore gehatt un host's nit halle könne."
Durch das Flehen seines geliebten Kindes etwas besänftigt, sagte er tröstend zu diesem: "Sei nor ruhig, Du arm Dhierche, es werd sich bald 'n annere for Dich finne."
"Gewiss, gewiss, Fräulein Lorchen," fiel der galante Schaumig ein, "es gibt reife, wissenschaftlich gebildete Männer, die sich unendlich glücklich schätzten -"
Hackklotz hatte dies überhört, aber Lorchen warf dem allzu kühnen Barbier einen vernichtenden Blick zu; sie wusste, das ihr Schambes einen Nebenbuhler gefunden hatte.
"Awwer ich schwörn's, dass es ab is, bis 'n Landungsbock ans Fischthor kimmt," grollte noch Hackklotz, indem er sich fertig rasiren liess.
An allen Thoren müssen Böcke gemacht werden", witzelte der Doktor, aber er erntete wenig Dank dafür. "Bleiwe se m'r jetzt mit Ihne ihre faule Witz vum Leib!" Mit diesen Worten schob ihn Meister Hackklotz etwas unsanft zur Thüre hinaus. - Der Doktor ging, die Brust geschwellt von kühnen Hoffnungen, seines Weges. Er war heirathslustig und hatte längst ein Auge auf Lorchen geworfen und das andere auf Tante Fränz. Letztere betrachtete er aber als zweites Aufgebot, wenn ihm ersteres weggefangen würde, was ihm ja auch seither nahe genug bevorstand. Um nun gerade in dieser Richtung ein Zerwürfnis herbeizuführen, hatte er eine falsche Nachricht ersonnen, denn es war eine Unwahrheit, dass der ehrenhafte Meister Presskopf unterschrieben haben sollte, er hatte sich im Gegentheil im Beisein des Barbiers dessen geweigert, indem er geistreich bemerkte: "Was kann dann mir dodran leihe? Mein Wärscht finne aach ohne d' Disch ihren Weg uff d' Disch!" - Schaumig aber nahm sich jetzt vor, dem liebebedürftigen Herzen Lorchens ein zärtlicher Tröster zu werden.
Das Alter nimmt sich manches vor, wozu es zu spät ist. Meister Presskopf, welcher die veränderte Lage noch an demselben Abend durch seinen tiefbetrübten Sohn erfuhr, lachte unbändig und sagte nur: "Hab ich nit dasselwe Recht, wie der alte Batschel aach?" Schambes entfernte sich trostlos und stürzte sich aus Herzeleid ins erste, beste Wirthshaus. Für sich aber sagte dann der vernünftige Schweinemetzgermeister: "Der Schode vun eme Gevattermann hot sich was uffbinne losse, jetzt soll er awwer aach dodefor zawwele. Die junge Leutcher dhun m'r zwar lääd, wann se sich iwrigens gern hawwe, kriehn se sich doch" So spricht die weise Ueberlegung, wenn die Stürme der Leidenschaft tosen.
In: Mainzer Fastnachts-Zeitung 1886