Die Enthüllung des Boudin-Denkmals am 31.10.1875
Enthüllung des Boudin-Denkmals
Die am Sonntag Vormittag auf dem hiesigen Friedhofe stattgehabte Enthüllung des Boudin-Denkmals gestaltete sich zu einer imposanten Feier und war eine würdige Huldigung dargebracht den Manen des entschlafenen Lehrers und Freundes der Jugend. An dem Zuge auf den Kirchhof betheiligten sich außer den Schülern Boudins die Feuerwehr mit ihrer Capelle, die Turner, der Verein Siegeskranz, die Gesangvereine Männer-Gesangverein, Liederzweig, Sängerkranz und Convent, sowie einige gewerbliche Corporationen, sämmtlich mit ihren Bannern und Emblemen. An dem Denkmal angekommen, intonirte die Capelle der Feuerwehr einen Choral, dann trugen die verbündeten Gesangvereine, welche oben genannt sind, das Lied Sabbathfeier vor.
Hierauf trat Herr Bürgermeister Wallau an die Stufen des Denkmals, um die Weiherede zu halten. Er führte aus, daß Boudin's Wirkungskreis zwar ein bescheidener gewesen, kein solcher, in dem der Entschlafene durch glänzende Thaten oder Werke der Kunst, die ihn überdauern, berühmt geworden sei, Boudin sei ein einfacher Volkschullehrer gewesen, der es sich zum Ziele gesteckt, edle Keime in die jugendlichen Herzen zu pflanzen und der bestrebt gewesen sei, daß das Handwerk im Strome der Zeit und im Strome der Concurrenz bestehe und sich vorwärts arbeite. Die anwesenden Schüler seien die Früchte seines Wirkens. Was Boudin vom Katheder erlauscht, was er in stillen Nächten aus den Büchern geschöpft, das habe er nicht benutzt, um selbst damit zu glänzen, sondern um das unwissende Volk zu erheben, um die Jugend auszubilden und sie zu tüchtigen Bürgern zu machen. In diesem Streben sei er trotz aller Hindernisse und aller Widerwärtigkeiten nicht ermüdet. Die Erfolge der Mainzer Industrie auf den Lokal- wie den internationalen Ausstellungen sei auch mit ein Verdienst des uns leider so früh entrissenen Mannes. Was er geleistet, das sei auch im Interesse der Stadt gewesen, und unter den Mainzer Söhnen, welche ihre Vaterstadt ehrt, weil sie an deren Wohl mitgewirkt, sei es auch Boudin, dem der Ehrenkranz gebühre. Wenn die Schüler Boudins dieses Denkmal errichtet zum Zeichen ihrer Dankbarkeit, so ehrten sie nicht blos den Lehrer, sie ehrten auch sich selbst. Als der Herr Bürgermeister geendet, fiel die Hülle des Denkmals, worauf das Lied von Fischer: "Gott ist die Liebe" (Text von ed. Duller) vorgetragen wurde. Nach einem Musikvortrag hielt Herr Eichberger, ein Schüler Boudins, in gebundener Rede eine die Verdienste des Lehrers feiernde Ansprache an die Versammelten, die in gewählten und herzlichen Worten ein Bild des schlichten, braven Lehrers vorführte, den die Verleumdung nicht zu beflecken vermocht und dessen ganzes Leben dem Ziele gegolten habe: Durch Nacht zum Licht! Möge das Denkmal in späten Tagen noch von der Dankbarkeit der Schüler Zeugniß geben, die heller strahle als tausend Kerzen. Die Schüler schmückten nach dieser Rede die Büste des Lehrers mit einem Lorbeerkranz, worauf das Mendelssohn'sche "es ist bestimmt in Gottes Rath" abgesungen wurde.
Ein Musikstück beschloß die erhebende und rührende Feier. Es hatten sich zu derselben der Herr Festungs Gouverneur Excellenz v. Boyen, der Herr Commandant der Festung, General v. Medem, die Beigeordneten Herren Dr. Oechsner und Reinach und eine große Anzahl von Verehrern, Collegen und Freunden Boudins, sowie ein überaus zahlreiches Publikum eingefunden. Am Schlusse der Feier sprach der Herr Gouverneur dem Comite der Boudinschüler noch seine Anerkennung aus. Das Denkmal, die wohlgelungene Büste Boudins auf einem Granitsockel, der in erhabenen goldenen Lettern die Inschrift trägt: "J. Boudin, Direktor der Gewerbeschule 1811-1873", während am Fuße die Widmung heißt: "Unserm Lehrer und Freunde" ist in seiner stilvollen einfachheit sehr wirksam und bildet eine Zierde unseres an stolzen Grabmalen reichen Friedhofs. Die Büste, welche, wie man sich erinnern wird, auf der letzten Lokal-Gewerbeausstellung in der Fruchthalle ausgestellt war, ist ein Erzeugniß der Galvanoplastik aus der Fabrik des Herrn Friedberg dahier.
(Mainzer Zeitung No. 256 vom 3. November 1875)
Die oben erwähnte Ansprache von Herrn Eichberger liegt im Wortlaut vor.
Auch existiert in Theodor Eichbergers Nachlass ein handschriftliches Programm zur Einweihungsfeier des Boudin-Denkmals auf dem Friedhof zu Mainz.