Clemens Kissel über Joseph Boudin
Auch der Mainzer Künstler und Schriftsteller Clemens Kissel (1849-1911), der eine Reihe von Beschreibungen und Zeichnungen über das alte Mainz des 19. Jh. veröffentlicht hat, war einst Schüler bei Boudin und berichtet über seinen Lehrer folgendes:
Direktor Boudin
Boudin war Direktor der Mainzer Gewerbeschule anfangs der 60er Jahre. Schreiber dieses nahm als junger Mann von 16-20 Jahren Unterricht bei diesem seltenen Manne. Wenn wir hier von ihm sprechen, so betrachten wir ihn nur in seiner Eigenschaft als Lehrer verschiedener Fächer in der Gewerbeschule. Er lehrte uns Deskriptive und Perspektive, sowie technisches Zeichnen. Er sah auf größte Aufmerksamkeit und Fleiß. Faule Schüler – und diese gab es kaum – kamen bei ihm nicht auf. Er besaß eine fesselnde, korrekte und anschauliche Vortragsweise und war nie müde. Des Abends von 8-10 Uhr, wann der Unterricht zu Ende war und man hatte etwas nicht recht verstanden, hielt er dem einzelnen einen Extra-Vortrag, bis dieser ihn begriffen hatte – und wenn es 11 Uhr darüber ward. Welch seltener, edler Mann! Damals war gerade das Metermaß in Vorbereitung, und in allen Schulen wurden deshalb die Schüler über das metrische System unterrichtet. Er sagte z.B.: Wenn Ihr Euch einen Meter vorstellen wollt, so denkt nur an einen Spazierstock, beim Zentimeter an den kleinen Finger, und beim Millimeter an einen Federmesserrücken; – beim Kilometer an die Entfernung von Mainz nach Zahlbach. Das war einfach und auch für den gering Begabten verständlich. Und so verstand er auf allen Gebieten faßlich darzustellen. Deshalb denken alle Schüler nur mit Freude an jenen Mann zurück. Boudin glich in seinem Aeußern dem Ritter Colleoni, dem zu Venedig das schöne Reiter-Denkmal gesetzt ist. Er hat auf dem Friedhofe eine Büste mit sprechend ähnlichem Antlitz.