Theodor Eichberger (1835-1917)


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Alte Geschichte.

Als kaum die Linde Knospen trieb,
Der Winter war verschwunden,
Da hatten sie in junger Lieb'
Darunter sich gefunden.

Und als die Linde wunderbar
Ihr duftig Laub gesponnen,
Da fühlten sie so rein uns wahr
Der Liebe sel'ge Wonnen.

Doch als die Linde, dufterfüllt,
Mit Blüten sich that schmücken,
Da pochten ihre Herzen wild
In taumelndem Entzücken.

Und als der Linde Blättergrün
Fing mächtig an zu blassen,
Sah drunter Sie mit düst'rem Sinn;
Er hatte sie verlassen.

Und als des Winters Eis und Schnee
Hing über'm Lindenbaume,
Da that ihr Herz so bitterweh;
Es war ihr wie im Traume.

Und als es wieder worden Mai
Und Knospen trieb die Linde,
Trug man in einem Sarg vorbei
Die Mutter mit dem Kinde.

Theodor Eichberger: Alte Geschichte.
In: Moguntia Nr. 32, II. Jg., vom 9. Mai 1875. Unterhaltungsblatt zum Neuen Mainzer Anzeiger

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