Theodor Eichberger (1835-1917)


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Wendelin Weiler aus New York

Auch: Wendelin Weiler II., Wendel Weiler, W. Weiler. Verwendete in seinen Veröffentlichungen das Kürzel W. W.

Im Mainz des 19. Jahrhunderts gab es zwei Dichter namens Wendelin Weiler zur gleichen Zeit, und beide waren miteinander verwandt.

Der ältere Wendelin Weiler (I.) bezeichnete sich als "Naturdichter" und beschrieb vorzugsweise die hessischen Ortschaften und die Figuren auf den Mainzer Straßen in poetischer Form. Gedichte, die er für besonders gelungen hielt, unterschrieb er als "Gendarm zu Pferd und Verfasser des weißen Waffenrocks" Dieser Wendelin Weiler erlangte bei weitem nicht die Beachtung und den Bekanntheitsgrad wie sein Vetter gleichen Namens, von dem hier die Rede sein soll.

Der Vetter des Naturdichters nannte sich - zur Unterscheidung von diesem - "Wendelin Weiler aus New York", denn die beiden Wendelin Weilers verstanden sich in persönlicher Hinsicht nicht gut und konkurrierten auch als Dichter miteinander. Wendelin Weiler aus New York war von bürgerlichem Beruf Kaufmann. Er war im Jahre 1849 nach Amerika ausgewandert und hatte in New York mit Erfolg eine Tabakwarenhandlung betrieben; bereits 1866 war Wendelin Weiler aus New York als wohlhabender Mann nach Mainz zurückgekehrt, wo er sich zur Ruhe setzte und als Dichter betätigte. Er war Mitglied der Carneval-Gesellschaft Humoristischer Tierkreis, der er für lange Zeit auch als Präsident voranstand, und gab von 1876 bis zu seinem plötzlichen Tod im Jahre 1889 die Mainzer Humoristischen Blätter heraus. Als Humorist, Lokaldichter und begeisterter Fastnachter machte er sich einen Namen in Mainz; er legte großen Wert darauf, nicht wie sein älterer Vetter als "Naturdichter" bezeichnet zu werden. Weiler verfasste eine Reihe von Theaterstücken sowie Carnevalspossen, die sich - ebenso wie seine carnevalistischen Vorträge - großer Beliebtheit erfreuten. Um jegliche Schwierigkeiten mit den Zensurbehörden und der Obrigkeit zu vermeiden, ging W. Weiler seinem humoristischen Schaffen mit großer Vorsicht nach und vermied gewissenhaft alles Anstößige.

Carl Leopold Volk über Wendelin Weiler aus New York:

[...] Das war ein allgemein hochgeachteter, auch gebildeter Mann, Humorist in weniger derbkomischer Manier, dessen reichhaltige Erzeugnisse ziemlich weit Verbreitung fanden und gern gelesen wurden.

Da nun kein Mensch vollkommen ist, so dürfen wir das auch bei ihm nicht voraussetzen, denn er hatte auch Schwächen. Da ich mit ihm lange Jahre befreundet und durch meine langjährige Mitarbeiterschaft an seinen "Humoristischen Blättern" 1 die bei "gutem und schlechtem Wetter" in 14 oder 15 Jahrgängen erschienen, sehr bekannt war, wie ich denn auch deren letzte Nummer, über deren Schreiben ihn der Tod durch einen Gehirnschlag ereilte, damals fertig stellte, So kannte ihn vielleicht Niemand besser als ich. Neben der Eifersüchtelei auf seinen poetischen Vetter, auf den er, als ihm nicht ebenbürtig, herabblickte, sah er umgekehrt zu dem rühmlichst bekannten und wirklichen Lokaldichter Friedrich Lennig 2, den er vielfach nachahmte, konkurrirend hinauf, sich wohl im Stillen als dessen Rivalen haltend. So hat er z.B. zu seinen Lebzeiten immer verlangt, daß man ihm einmal den gleichen Grabstein, wie solchen Friedrich Lennig habe, setzen möge, und seine Frau, eine geborene Funk, Schwester des ehemaligen alten Quintinsthürmers Funk, versicherte mich einmal allen Ernstes, daß ihr Mann als Mainzer Lokaldichter im Conversationslexikon seinen Platz hätte.

Weiler war ein sehr gutmütiger, harmloser und sittenreiner Mann, welch' letztere Eigenschaft fast an Naivetät streifte. Außer seinem Ehrgeiz, ein berühmter Lokaldichter zu sein oder wenigstens als solcher zu gelten, und der Schwäche, den Leistungen poetischer Lokalzeitschriften eifersüchtig gegenüber zu stehen, sie zu überwachen und eventl. seine Glossen darüber zu machen, hatte er keinen Fehler, überhaupt auch keine Feinde.

Aber gerade die kleine Schwäche der Eifersüchtelei auf die Erzeugnisse seiner Mitpoeten brachte ihm manche unliebsame Controverse. So z.B., als er einmal mit dem inzwischen verstorbenen Dr. Maurer, der in Mainz durch sein extremes Wesen ein ans Lächerliche grenzendes Aufsehen erregt hatte, unter dem Spitznamen "Dr. Speiskübel" anband, that ihn dieser mit zwei Worten ab: "Humoristischer Langweiler!" Das genügte; mit ihm hat er niemals mehr angebunden. Konkurrenzblätter humoristischen Inhalts waren ihm stets ein Dorn im Auge und er freute sich wie ein Kind, wenn solche an Abonnentenschwindsucht wieder eingingen. Davon konnte der Schreiber dieses auch ein Liedchen singen, als er 1880 die "Philisterpeitsche" 3 als Karnevalszeitung herausgab, und während der ganzen Dauer deren Erscheinens einen Kampf per Briefkastennotizen mit den "Humoristischen Blättern" zu führen hatte, der von Weiler provozirt war und bisweilen einen recht spitzen Ton annahm. Als der bekannte und wirkliche Humorist Theod. Eichberger im Verein mit Jean Bohne seiner Zeit den "Schwewwel" 4 herausgab, stand unser Weiler auch gleich wieder auf dem: qui vive. Es kam auch alsbald zu Briefkasten-Plänkeleien, bis Eichberger durch folgenden Kernschuß dem Gefechte ein- für allemal ein Ende machte. Er schrieb in seinem Briefkasten an eine fingirte Adresse: "Sie fragen an, was wir auf die Angriffe jenes bekannten Humoristen antworten werden? Wir wollen es Ihnen kurz sagen:

"Von außen à la Lennig
Reimt er im Dialekt;
Nur schad' daß innewennig
Nix von 'me Lennig steckt!"

Das genügte abermals und zwar vollends. Weiler ließ den "Schwewwel" fürderhin ungeschoren. Ich könnte noch eine Reihe sehr netter ähnlicher Anekdoten wählen, allein die Pietät, die ich dem Verstorbenen schuldig bin, verbietet mir das. Insbesondere von den Parodien, die der ebenfalls verstorbene Carnevalist Kl....tt 5stets beim Erscheinen der humoristischen Blätter auf deren Inhalt zu schreiben pflegte, und sie dann jedesmal prompt und freundschaftlichst der Familie Weiler zuschickte; z.B. auf "Die alte Köchin; Die Landpommeranz; Der Mann mit dem dicke Bauch" u.f.f. Die Familie kam darüber oft in tagelange Aufregung, so daß Weiler sogar einmal deshalb von Mainz wegziehen wollte. - Ja, wer kegeln will, muß auch aufsetzen!

C.L.V.

1 Mainzer humoristische Blaetter: lyrisch-satyrisches, humoristisch-kohliges Wochenblatt. Hg. Wendelin Weiler, Mainz.

2 Friedrich Lennig (1796-1838) war ein beliebter Mainzer Mundartdichter.

3 Die Philisterpeitsche: humoristische Wochenschrift. Mainz. Hg. F. Klingelschmitt, M. Schwenck und C. L. Volk. Beilage der Mainzer Nachrichten. Erschien ab 1.01.1880.

4 Mainzer Schwewwel: lyrisch-satyrisch-humoristisch-undsoweiterisches Tageblatt, das alle Wochentag vereint und jeden Sonntag neu erscheint. Mainz: Theodor Eichberger und Jean Bohne.
Erschien wöchentlich zwischen dem 1.10.1876 und dem 30.12.1877

5 Gemeint ist Franz Klingelschmitt

Quellen: Clemens Kissel: Aus dem alten Mainz. Bilder und Erinnerungen aus der Vergangenheit. Mainz: Kirchheim & Co., 1908. S. 36, 150

Carl Volk: Silhouetten aus dem alten Mainz XVI. In: Neuester Anzeiger Nr. 45 vom 22.02.1902


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